Politikberatung – Interessenvermittlung zwischen Experten und Politik

In modernen Demokratien sind Unsicherheit reduzierende Informationen Voraussetzung für die Formulierung von politischen Lösungsstrategien zur Bewältigung komplexer Probleme wie jenes des Strukturwandels im Rheinischen Revier. Dieses Forschungsprojekt soll (1) offenlegen, welche formalen und informalen Informationsflüsse zwischen Experten, Interessengruppen und Politikern bestehen, (2) einschätzen, wie bedeutsam dieser Informationsaustausch für den Policyprozess des Strukturwandels sind, und (3) Vorschläge entwickeln, wie Informationskanäle sinnvoll weiterentwickelt werden können. Im Rahmen der Doctoral School Closed Carbon Cycle Economy, dem Strukturwandel im Rheinischen Revier und geschlossener Kohlenstoffkreisläufe analysiert es damit einen wesentlichen prozeduralen und inhaltlichen Aspekt der kurz- und langfristigen Politikgestaltung des Strukturwandels. Mit dieser Zielsetzung hat es enge Bezüge zu den geplanten rechtswissenschaftlichen, philosophischen und soziologischen Analysen dieses Strukturwandels, die bestimmte inhaltliche Informationen (z. B. Frames, Folgeaspekte des Strukturwandels, ethische Aspekte) in den Mittelpunkt rücken.

Klimaschutzpolitik, Kohleausstieg, und Strukturwandel im Rheinischen Revier sind besonders interessant für die Analyse der Informationsflüsse zwischen Politikern und Bürokraten einerseits und Experten und Interessenorganisationen andererseits. Die Formulierung von Policies in diesen Feldern ist sowohl auf vielfältige technische Informationen zu Policydetails als auch auf politische Informationen zu Unterstützung und Opposition durch gesellschaftliche Gruppen und organisierte Interessen angewiesen (vgl. Dür und Mateo 2016). Für die Gestaltung des Strukturwandels sind dabei nicht nur punktuelle Informationsflüsse, sondern mittel- bis langfristige Informationsbeziehungen und die Verpflichtungsfähigkeit von gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Akteuren von besonderer Bedeutung.

Ein verbreitetes politikwissenschaftliches Instrument zur Analyse solcher Informationsflüsse sind Ressourcendependenzmodelle. In der Politikformulierung sind Politiker und Bürokraten vorrangig an Informationen interessiert, die ihnen die Erlangung oder den Erhalt von Ämtern sichern oder aber die zur Erreichung ihrer wesentlichen Policyziele beitragen. Interessenorganisationen liefern Informationen, entweder um Politiker und Bürokraten mit anderen Policypräferenzen von ihrer eigenen Position zu überzeugen oder um Politiker und Bürokraten mit ähnlicher Policyposition im politischen Prozess zu unterstützen. Beides soll letztlich die Realisierung der materiellen, sozialen oder ideellen Ziele von Interessenorganisationen ermöglichen. Experten bringen wiederum Informationen ein, deren Relevanz, unabhängig vom Inhalt, vorwiegend auf epistemischer Autorität gründet, und die Politikern Anhaltspunkte zur Bewertung der Informationen von Interessenorganisationen liefern können.

Die Einrichtung der Kohlekommission belegt den hohen Stellenwert von Experten und Interessenorganisationen für die Formulierung und Legitimierung von Entscheidungen zum Kohleausstieg. Ihre 31 Mitglieder sind Politiker, Vertreter von Energieversorgern, der Gewerkschaften, von Arbeitgebern und Industrie, von Klima- und Umweltschutzgruppen, von Anwohnerinitiativen, aus der Wissenschaft, sowie von Kommunen und kommunalen Unternehmen. Der am 26.01.2019 verabschiedete Abschlussbericht der Kommission empfiehlt, dass Deutschland bis 2038 aus der Kohleverstromung aussteigen soll. Ebenso sei es „wünschenswert“, den Hambacher Forst zu erhalten, der in den letzten Jahren vermehrt Austragungsort öffentlicher Proteste wurde.

Für die Analyse der Informationsflüsse zum Strukturwandel im Rheinischen Revier ist in Rechnung zu stellen, dass wichtige Rahmenbedingungen des Kohleausstiegs exogen vorgegeben sind über internationale Abkommen wie das Pariser Klimaschutzabkommen oder die staatliche Beihilfenpolitik und die Emissionsziele der EU. Verschiedene, für den Strukturwandel relevante Politikbereiche sind unterschiedlich stark europäisiert – so findet Klimapolitik hauptsächlich auf der Europäischen Ebene statt während Energiepolitik sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene entschieden wird. Somit ist zu klären, welche Akteure auf welcher Ebene in welchen institutionellen Arenen oder venues ansetzen, um ihre Ziele zu erreichen. Im Forschungsprojekt soll deshalb der folgenden Frage nachgegangen werden: Inwiefern nutzen Interessenorganisationen, Experten und Akteure der Zivilgesellschaft die Bereitstellung von Informationen und Legitimität, um den Strukturwandel des Rheinischen Braunkohlegebiets innerhalb des Mehrebenensystems der Energie- und Klimapolitik zu gestalten?

Anhand einer detaillierten Fallstudie mit Hilfe von process tracing Verfahren sollen die Informationsflüsse zwischen Experten und Interessengruppen einerseits und Politikern und Bürokraten andererseits netzwerkanalytisch untersucht werden. Als erste Datenquelle dienen Inhaltsanalysen der Policydokumente (Positionspapiere, Policyvorschläge, Kommissionsberichte, etc.) dazu, wesentliche Sachfragen und Streitpunkte des Strukturwandels zu erfassen sowie Informationen über die Positionierung relevanter Akteure zu erheben. Auf diesem Weg können systematisch Policyergebnisse mit dem Policyinput verglichen werden. Als zweite Datenquelle dienen Leitfadeninterviews dazu, die verschiedenen Interessen am Strukturwandel zu ermitteln, die wesentlichen Informationskanäle zwischen den Akteuren zu erfassen und zusätzliche Informationen über die Akteure zu erheben. Diese semi-standardisierten Interviews sollen mit organisierten Interessen und Repräsentanten der Anwohner, Beschäftigten im Tagebau oder der Kohleverstromung, Umweltaktivisten und Kraftwerksbetreibern sowie mit Politikern und Bürokraten geführt werden. Experteninterviews mit Wissenschaftlern sollen ermitteln, welche Maßnahmen diese als notwendig ansehen, um eine Wirtschaft mit geschlossenem Kohlekreislauf zu gewährleisten und wie sie ihre Einschätzungen im Policyprozess des Strukturwandels eingebracht haben.

Die Ermittlung der kausalen Beziehungen zwischen Informationsflüssen und beschlossenen Policies unter Berücksichtigung von Experten und Interessenorganisationen geht deutlich über die bisherige politikwissenschaftliche Literatur hinaus, in der beide Akteurstypen i. d. R. getrennt voneinander untersucht werden. Die empirische Studie verbindet und erweitert nicht nur verschiedene Stränge des wissenschaftlichen Diskurses, sondern soll darüber hinaus Handlungsempfehlungen für die Institutionalisierung von Informationsflüssen im langfristigen Prozess des Strukturwandels erarbeiten. Ihre Befunde zur Offenheit und Geschlossenheit politischer Informationskanäle sowie zur Relevanz formaler und informaler sowie kurz- und langfristiger Informationsflüsse für die politischen Prozesse sind wichtige Anhaltspunkte für die Entwicklung von Vorschlägen zur Gestaltung von Informationsflüssen im Hinblick auf deren Transparenz, Institutionalisierung, Offenheit, Strukturierung, usw.

Doktorandin

Erstbetreuung